Theodor Storm – Das Hohelied

Theodor Storm – Das Hohelied

Das Hohelied

Der Markt ist leer, die Bude steht verlassen,
Im Winde weht der bunte Trödelkram;
Und drinnen sitzt im Wirbelstaub der Gassen
Das schlanke Kind des Juden Abraham.

Sie stützt das Haupt in ihre weiße Hand,
Im Sturm des Busens bebt die leichte Hülle;
Man sieht’s, an dieser Augen Sonnenbrand
Gedieh der Mund zu seiner Purpurfülle.
Die Lippe schweigt; die schwarzen Locken ranken
Sich um die Stirn wie schmachtende Gedanken. -
Sie liest vertieft in einem alten Buch
Von einem König, der die Harfe schlug
Und liebefordernd in den goldnen Klang
Manch zärtlich Lied an Zions Mädchen sang.

Hinterlasse eine Antwort

Users on page
Now online: 0
Overall: 3460974